Passenger

Der blaue VW-Bus hat an der Kofferraumklappe dicke Rostflecken bekommen. Ich bemerke es beim Öffnen der Klappe. Im Kofferraum sammelt sich ein kreatives Chaos: eine Decke, Seile, Tücher, Werkzeug, Klappstühle, mittendrin eine Kiste mit Geschirr und einem Kuchen.
«Der war noch zu warm, deshalb mussten wir ihn mitbringen», sagt Jan entschuldigend.
Mein Ex-Mann und unsere gemeinsame Tochter, die heute Geburtstag hat, sammeln mich am Bahnhof in Radolfzell ein. Es ist der 1. Mai. Sie hatte sich eine Wanderung gewünscht.

«Rot oder blau?», hatte Jan mich damals gefragt. «Sag einfach rot oder blau», und bevor ich etwas sagen konnte, fuhr er fort: «Ich will einen VW-Bus für uns kaufen. Für viele Kinder, meine zwei, unseres und alle, die wir noch bekommen. Da ist so ein Transporter genau das Richtige.» Er strahlte. Meine Antwort liess auf sich warten. Rot oder blau? Entweder, oder? Ja oder Nein? Was war mit dem Druck auf meiner Brust? Ich stotterte. Ich als Langsam-Entscheiderin, die in alle Veränderungen hineinwachsen muss, geriet in Stress. «Was hast du vor? Ist das ein ausgebauter Bus, in dem wir auch schlafen können?» «Es gibt eine Sonderaktion, VW Transporter T6 Diesel, ohne jeden Schnickschnack, ein Neunsitzer mit herausnehmbaren Sitzen.» «Also blau. Dann blau.» Wahrscheinlich kam meine Antwort Tage später.
Ich schliesse die Kofferraumklappe. Es ist das erste Mal nach siebeneinhalb Jahren, in denen wir getrennt gemeinsam Eltern waren, dass ich wieder mit dem Innenleben des VW-Busses in Kontakt komme. Siebeneinhalb Jahre, in denen Jan geheiratet und seine Frau verloren hat, in denen seine grossen Töchter ihren Vater mieden, weil es zu sehr wehtat, in denen wir zwei Mütter mit den vier Kindern Patchworkfamilie lebten, gemeinsam feierten, was es alles zu feiern gab, und Urlaub mit allen vier Kindern machten, siebeneinhalb Jahre, in denen ich zeitweise unsichtbare Männer an meiner Seite hatte, Liebesgeschichten, die sich nicht mit meinem Leben verbanden, siebeneinhalb Jahre, in denen unsere Kinder heranwuchsen, ich darum rang, das, was wehtat und sich in eine unbändige Wut gewandelt hatte, unentwegt zu zähmen, mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Das, was sich für uns als unser Bestes anfühlte, blieb grundverschieden. Jan hatte seinen Lieblingswanderparkplatz auf einer Höhe mit Blick auf den See zielsicher angesteuert. «Dann lass uns erst mal Kuchen essen.»

Wir zogen damals, als Jan den VW-Bus kaufte, aus einem Dorf in der Nähe von Konstanz in die Stadt, und ich verkaufte mein erstes und einziges Auto, einen weissen Suzuki Swift. Ich als Autobesitzerin – eine einzige innige Beziehungsgeschichte ging zu Ende. Wir richteten uns im VW-Bus ein. Jan baute eine mobile Küche, in der der Petroleumkocher Platz fand, ich kaufte campingtaugliches Geschirr und Gewürze, wir kauften eine aufrollbare Matratze bei Ikea. Jan baute eine Konstruktion, dank der wir abends Bretter über unser Gepäck schieben und die Matratze ausrollen konnten. Egal ob Verona, das Donautal oder der französische Jura, egal ob mit oder ohne den Anhänger, in dem sechs Fahrräder Platz fanden: Wir waren mit dem Bus unterwegs. Der Bus ist älter als unsere Tochter, und als wir mit allen vier Kindern unterwegs waren, schliefen wir in dem grossen Familienzelt aus dem Baumarkt. Ich erinnere mich an Nächte im Zelt, in denen der Donner dem Blitz hinterhereilte und der Platzregen die Zeltplanen nach unten drückte. Unter dieser Kuppel, geborgen mitten im stärksten Gewitter, wir mit den vier Kindern. Wir blieben trocken. Als die Kinder grösser wurden, schliefen wir manchmal im Bus.

Jan stellt Klappstühle auf, einen Zweierklappstuhl und ein weiteres Unikat, das zu ihm passt. Er verwandelt die Holzkiste zum Tisch, streut Puderzucker auf den Kuchen, er schenkt mitgebrachten Kaffee aus, ich habe eine Thermoskanne mit Tee dabei. Unsere anschliessende Wanderung führt uns auf kleine Pfade, die im Nirgendwo enden, wir rutschen steile Hänge durch den Wald hinab und geniessen malerische Ausblicke auf Apfelblüten und den Überlingersee. Wieder am Auto nach dreistündiger Wanderung, entscheiden wir, die Decke am höchsten Punkt der Kuppe auszubreiten und nochmal Kuchen zu essen. Satt und zufrieden rolle ich mich wie unser Kater zur Seite und schlafe ein. Ich staune, wie entspannt alles ist, ich lasse die Türen mit den schmerzhaften Erinnerungen zu, jetzt, wo der Kofferraum des Busses Rost angesetzt hat.

Autorin: Maya M.

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