Schneefeld I

Weil ich ihm nicht geben konnte, was ihm fehlte, ermunterte ich ihn, auch ausserhalb der Beziehung danach zu suchen. Mein Mann und ich wohnten in einer schönen, alten Wohnung mit einem grossen Garten, den er besorgte. Die Familien- und Erwerbsarbeit teilten wir uns. Ich war viel unterwegs, besuchte Kurse und Weiterbildungen und arbeitete an spannenden Projekten mit. Doch mein Mann war unzufrieden. Er wünschte sich mehr Beziehung – und auch mehr Sex. Die Kinder waren schon grösser, aber meine Lust war im Familienleben irgendwie untergegangen. Er wollte nicht wirklich ausserhalb der Beziehung suchen gehen. Und dann war ich es, die eine Affäre einging, die zu einer Freundschaft und immer mehr auch zu einer Beziehung wurde. Zu meinem Mann, den ich liebe, sagte ich: «Du profitierst doch auch!» Meine Lust entflammte sich im Hin und Her zwischen beiden Männern. Für meinen Mann ging das nicht auf. Wir machten eine Paartherapie. «Ich kämpfe um dich!», sagte er. Er versuchte mit mir zu leben, so, wie ich bin, aber es machte ihn fertig, wenn er wusste, dass ich zum andern Mann ging. Ich brauche und liebe ihn als Mann und auch als Vater, der unseren Kindern ein Gegenüber ist. Er kann das nicht sein, wenn ich ihm ständig den Teppich unter den Füssen wegziehe, das sah ich ein. Ich hörte auf, intim mit dem anderen Mann zu sein. Schliesslich brach ich die Beziehung zu ihm ganz ab, wenn auch mit dem Gefühl, unter Zwang etwas abzubrechen. Etwas später ging ich mit meinem Mann auf eine Bergtour. Normalerweise kehren wir um, wenn eine Route schwierig wird. Dieses Mal durchquerten wir ein Schneefeld, das im Weg lag. Wir kämpften uns durch den tiefen Schnee – und ich merkte, dass ich solche Erlebnisse brauche, die ich mit ihm teilen kann.

Aufgezeichnet von Ivo Knill

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