Das richtige Mass an Fremdheit?

Mag ich Curry? Mag ich kein Curry? Mag ich die Salatsauce, die Peperoni, den Kaffee, wie du ihn machst, oder nur so, wie ich ihn mache? Ich weiss es nicht, ich möchte es nicht wissen, ich möchte, dass es kein Bild von mir gibt mit meinen Vorlieben, mit meinem Immer, Immer-schon und Schon-früher. Ich möchte frei sein, jeden Augenblick.
Du sollst dir kein Bildnis machen! So heisst es. Ich will nicht, dass du dir ein Bild von mir machst und mich darauf festlegst. «L’enfer c’est les autres.» Wir haben Sartre gelesen, Frisch, Camus. Ich wollte keine Stallwärme. Ich sah mich als Homo Faber, als Mann, der, die Hände in den Hosentaschen, am Fenster steht. Ich sah nichts dabei, zum Schulabschluss mit einer Freundin aus der anderen Klasse für drei Wochen nach Griechenland zu reisen. Ihr blondes Haar im Wind, ihre Seekrankheit, ich auf der Ufermauer mit aufgeschlagenem Buch auf den Knien. Wind, das klare Wasser, meine Unsicherheit auf dem Grund.
Und jetzt – wie viele Jahrzehnte später? – muss ich noch einmal und wieder einmal die Salatsaucenfragen klären: Ich will nur Olivenöl, Balsamico-Essig, Salz. Fertig, basta. Ich habe meine Gewohnheiten, meine Rituale, sie stimmen für mich, fertig, basta, auch ohne Curry.
Ich habe Angst, fremdbestimmt zu sein. Ich habe Angst, davor, geliebt und damit bestimmt, gesehen, auf ein Bild gebracht zu werden, aus dem man wieder und wieder fliehen muss. Das Du, Du, Du, die Ansprüche, die Empfindlichkeiten, die mich umgeben: Sie treiben mich in die Flucht. Ansprüche, Gefühle: Ich habe dagegen rebelliert, als wir uns kennenlernten. Ich habe damals gegen meine Familie, gegen meine Herkunft, gegen meinen Vater rebelliert. Nur nicht werden wie er! Es war immer gut, wenn wir auf der gleichen Seite der Rebellion standen. Es war immer schwierig, wenn wir in uns, im Gegenüber, den Widerstand sahen, den es zu überwinden galt, das Du. Das Du, Du, Du, das im Weg steht, am Leben hindert, das Leben zu einem Kleinkrieg macht, zu einem Minenfeld der Empfindlichkeit, zu einem Schlachtplatz der Lebensniederlage.
Du, Du, Du: Die Existenzialisten, die wir damals lasen, sehen im Du einen Skandal. An Ansprüchen, Widerständen, die der andere setzt, werden wir klein. Das Du macht uns klein: Es nimmt uns die Freiheit der Wahl, es macht die Wahl unmöglich. Du lasest Sartre, «Die Mauer», glaube ich: Die Geschichte von der Frau, die im Wahn des Mannes untergeht. Wir sprachen über den Text, wir lasen Khalil Gibran: Bäume brauchen Platz.

Wir nahmen nicht das Lehrbuch der romantischen Liebe als Ausgangspunkt für unser gemeinsames Leben. Wir wollten ein Paar sein und frei.
Aber war da nicht die Angst, dass du etwas machen könntest, was den Raum meiner Liebe überschreiten könnte?
Mit den Jahren trat die Gegenfrage in den Raum: Könnte ich es verantworten, wenn der Mensch, den ich liebe, etwas in ihm Schlummerndes nicht entfalten könnte, weil es meine Grenzen sprengt? Darf ich dir Grenzen setzen? Und dies wieder führte zur Frage: Kann ich im leeren Haus sein? Kann ich im leeren Haus sein, wenn das Leben anderswo stattfindet für den Menschen, dem ich mich verbunden habe? Ringen also.
Es gibt keine Kompromisse, man muss es aushalten. Man muss das Anderssein des anderen aushalten. Man muss sich lösen, man muss sich selbst Freiheit eingestehen. Aber die Kraft! Wie lange reicht die Kraft, um die Ungewissheit und das Schwankende zu überstehen? Und manchmal muss einer das Feuer holen, draussen, wenn der Herd verglimmt ist.
Du, du, du: Wie lange soll denn das Ringen gehen? «Ich weiche nicht, denn du gibst mir deinen Segen.» Liebeskampf mit der Partnerin. Liebe mich! Gib mir das Brot deiner Liebe, sonst sterbe ich.

Keine Ahnung, wer das alles so kompliziert eingerichtet hat. Soll denn mein Stolz gebrochen werden, wenn ich schon wieder keine Lösung finde für den Widerspruch zwischen dem Drang nach Freiheit und dem Bedürfnis nach Sicherheit? Wenn ich ein Ja suche, das mich befreit?
Du, du, du. Der Skandal des Anderen.
Max Frisch findet Beziehung unaushaltbar. Es sei denn: Da ist eine Liebe, die mit offenem Auge sieht. Ist es zu viel gesagt, wenn ich vermute, dass wir in allem Ringen und noch in der grössten Fremdheit einen liebenden Blick bewahrt haben? Oder wenn ich jetzt zu vermuten beginne, dass du mich tiefer erkannt hast, als es mir bewusst war?
Vielleicht geht es mit den Peperoni, wenn sie geschält sind? Oder ich sollte das Curry wieder einmal wagen?

Autor: Ivo Knill

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